Mittwoch, 30. Januar 2013

"Das hat's bei uns nicht gegeben!" - Antisemitismus in der DDR

Wanderausstellung der Amadeu-Antonio-Stiftung in Coswig

ein Bericht
von (c) Reinhard Heinrich

Warum überhaupt hingehen?

Am vorigen Montag, direkt nach der Ehrung der Ofer des Nationalsozialismus (zum Bericht hier), wurde im Gemeindezentrum der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Coswig eine Ausstellung unter dem oben stehenden - durchaus provozierenden - Titel eröffnet.

Frau Schuster als "Moderatorin" der Veranstaltung

Und erst einmal verstand ich jene, die sich weigerten, zu "so etwas" mit hinzugehen, denn es war ihnen schon klar, dass hier wieder einmal ihr "verlorenes Land" in die Pfanne gehauen wird.
Und man könnte mit dieser Ausstellung die DDR tatsächlich in die Pfanne hauen, wenn man einige Tafeln herausgriffe - und ein paar andere wegließe. Und das ist der Hauptunterschied zu so manchen Ausstellungen in der DDR, wo zwar Dialektik in Staatsbürgerkunde hoch gelobt und gelehrt  wurde, die Aussage von (öffentlichen) Ausstellungen jedoch stets parteilich - und damit möglichst einseitig und damit undialektisch - zu sein hatte.

Zwei Bücher - ein "gutes"
und ein "schlechtes"
Man hatte mich gewarnt. Und die Wogen der Entrüstung brandeten hoch - allein wegen des Titels. Um so mehr trieb die Neugier mich hin. Ich informierte mich über die Amadeu-Antonio-Stiftung (anklicken!) - was für ein Glück, denn ich wurde bald danach gefragt.
Das Hingehen hat sich für mich gelohnt. Manches wusste ich, von einigen Erscheinungen wusste ich nicht, dass sie so offen und zahlreich auftraten. Und es war  nicht  nur staatliches Handeln, sondern oft auch der latente, "ererbte" und fast geräuschlose Antisemitismus, der sich in ganz normalen Familien am Abendbrottisch der Alten zeigte und den die Jungen mit auf ihre "Abenteuerspielplätze" nahmen - vom Sport bis zur Armee.

Was gibt es zu sehen?

"Der Staatssekretär für Kirchenfragen
Klaus Gysi schreibt an E.H."
(Durch Anklicken wird das Bild stark vergrössert.)
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Die Ausstellung macht deutlich, dass der realsozialistische Staat "eigentlich nicht gegen die Juden" war - aber eben auch nicht so recht dafür. Aus den ausgestellten Dokumenten spricht eine grosse Unsicherheit der führenden Vertreter von Staat und Partei im Umgang mit einem geschundenen Volk, das sich trotz Vertreibung durch die Kolonialmacht Rom (wegen ständiger Rebellionen) und weltweite Zerstreuung seine Identität bewahrt hat, weil es sich immer weitgehend über seine Religion definiert hat. Auch wenn es spätestens seit der Aufklärung stets säkulare Juden gab - eine Sozialistische Einheitspartei Deutschlands konnte mit Religionen wenig anfangen und duldete diese "Aussenseiter" zwar, tat aber meistens so, als seien sie in der DDR gar nicht vorhanden. Damit erübrigten sich jegliche Bekenntnisse zur Wiedergutmachung, was auch den "antiimperialistischen Klassenstandpunkt" gegenüber Israel, dem "Flugzeugträger der USA" im Nahen Osten, enorm erleichterte.

Dass sich der prominente Sänger und Schauspieler Gerry Wolff um 1970 in Bannewitz bei Dresden die Beschimpfungen "Juden-Gerry" und "Judenschwein" anhören musste, hätte auch ich nicht für möglich gehalten. Aber warum sollte dieser stets ehrliche Künstler gelogen haben? 

Zeichen "ungefestigter sozialistischer Moral"?
Selbst SED-Mitglied (und von Antisemitismus Betroffener) Klaus Gysi, Staatssekretär für Kirchenfragen, musste 1988 seinen Generalsekretär nachdrücklich darauf aufmerksam machen, dass die DDR alle Nazi-Enteignungen gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften rückgängig gemacht hatte - ausser bei den jüdischen Gemeinden.
Rücksichts- und  gedankenlose  Schlamperei vielleicht - aber leider symptomatisch. Das zeigt diese Ausstellung anhand vieler Situationen und Geschehnisse, guter wie schlechter. Man muss vielleicht nicht alles von allen Seiten zur Kenntnis nehmen. Aber völlige Beschränkung auf eine Seite schafft einseitige Beschränktheit.

Und wozu eine Eröffnung mit solchem Tamtam?

Ernstes Spiel um "harmlose" Fragen
Das "Tamtam" bestand in einem abwechslungsreichen Programm mit viel Klezmer-Musik, einigen - durchaus informativen - Reden und einer Spielszene, bei der es einem kalt den Rücken herunterlaufen konnte. Frau Schuster machte einleitend darauf aufmerksam, dass Antisemitismus zwar aus der Vergangenheit kommt, aber immer noch da ist. Also keineswegs als ein überwundenes Problem gesehen werden darf.

"The Coswig-Klezmer-Klarinetts"
 - oder so ähnlich ...
Dies wurde illustriert durch eine Spielszene von Coswiger Gymnasiasten, in der antisemitisches Geschehen im Berlin unserer Tage gezeigt wurde. Kein Mord und Totschlag - aber der Umgang unserer Gesellschaft mit Menschen, die sich zu zeigen "erfrechen", dass sie nicht ganz haargenau so sind - und sein wollen - wie wir - durch Eröffnen eines Jüdischen Feinkostgeschäftes mit koscheren Erzeugnissen aus Israel. Jedes China-Restaurant darf seine Peking-Löwen vor die Tür stellen. Aber eine israelische Flagge - da bewahre uns doch dieser und jener ...

OB Frank Neupold beim Erinnern
Oberbürgermeister Frank Neupold erinnerte in seiner Ansprache an die faktische "Unsichtbarkeit" jüdischer Mitbürger in der DDR. Erst nach langem Nachdenken kam ihm einer seiner Lehrmeister in der Planeta in den Sinn, der diesem Volk offensichtlich angehört hat. Diese Tatsache wurde sogar nach der offiziellen Eröffnung der Ausstellung noch von einigen Anwesenden diskutiert, die sich an ihre Berufsausbildung erinnern konnten. So schnell hatte die Veranstaltung eines ihrer Ziele erreicht: Nachdenken, auch gemeinsames, über vermeintlich glatte Geschichtsabläufe, die plötzlich rauh und vielgestaltig ans Licht treten.

Abschliessend wäre nur noch zu wünschen, dass recht bald eine fortführende Ausstellung unter dem Titel "Antisemitismus (oder besser Fremdenfeindlichkeit?) in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis heute" gezeigt wird. Die DDR ist nicht mehr zu verbessern, sie bleibt für immer die beste und zugleich schlechteste DDR aller Zeiten. Die Bundesrepublik aber wäre bestimmt noch einiger Mühen wert ...

Und wo geht's rein?

An zwei Audio-Plätzen
kann man Interviews hören.
Die Ausstellung kann (laut dem verteilten Flyer) noch bis zum 22. März während der Öffnungszeiten der Kanzlei (im Pfarrhaus, Ravensburger Platz 6) bzw. nach telefonischer Anmeldung (03523) 75894 oder kg.coswig @evlks.de (bitte Spamschutz-Leerzeichen vor dem @ entfernen!) besucht werden.

Die Öffnungszeiten sind
Mo., Di, Fr.: 9 - 12 Uhr
Di. + Do.: 14-18 Uhr.









2 Kommentare:

  1. Mir geht es um eine sachliche Auseinandersetzung. Deshalb schreibe ich meinen Namen nicht darunter. Ich möchte verhindern, dass es zu persönlichen Angriffen kommt.
    Ich hatte eine Ausstellung mit dem gleichen Titel auch von der Amadeu-Antonio-Stiftung in Dresden gesehen. Deshalb ging ich davon aus, dass es sich um die gleiche Ausstellung handelt. Nicht zu Unrecht erinnerte die damalige Ausstellung einen Leserbriefautor an eine Ausstellung der Nazis. Laut
    http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wir-ueber-uns/geschichte-der-stiftung/meilensteine/antisemitismus-ddr/
    wurde sie 2009 überarbeitet. Die im Beitrag erwähnten Tafeln waren nach meiner Erinnerung damals noch nicht vorhanden.
    Aus Zeitgründen konnte ich mir sie noch nicht ansehen. Deshalb kann ich zum Inhalt hier vorerst nichts schreiben.

    U.S., Coswig

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  2. Wie eine kritische und zugleich sachlich korrekte Sicht auf Antisemitismus in der DDR aussieht, zeigte Nora Goldenbogen (siehe http://coloradio.org/site/2013/01/judisches-leben-und-antisemitismus-in-der-ddr/).
    Dagegen ist auf
    http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wir-ueber-uns/geschichte-der-stiftung/meilensteine/antisemitismus-ddr/
    zu lesen:
    "Im Gegensatz zum Mythos von einer antifaschistischen DDR gab es auch Antisemitismus von staatlicher Seite. ... Was wurde in der Regionalzeitung über Israel geschrieben?"
    Die Identifikation Israels mit den Juden ein typisch antisemitisches Vorurteil. Diese Form des Antisemitismus wird leider von der Amadeu-Antonio-Stiftung massiv gefördert. (z.B. http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/die-stiftung-aktiv/gegen-as/antisemitismus-heute/) Und dass sie sich ausdrücklich auch "gegen Rechtsextremismus" ausspricht, zeigt, dass sie von der Extremismusideologie leider nicht ganz unbeeinflusst geblieben ist, sehr vorsichtig ausgedrückt. Dass sie daneben auch noch sinnvolle Arbeit gegen Rassismus leistet, ist unterstützungswürdig. Aber dies sollte eine kritische Sicht nicht verhindern. Deshalb sollte die Dialektik nicht nur gelobt werden. Sie sollte auch angewandt werden. Das betrifft nicht nur die Amadeu-Antonio-Stiftung und die Ausstellung ("das ist der Hauptunterschied zu so manchen Ausstellungen in der DDR", "Das Hingehen hat sich für mich gelohnt."),
    sondern auch den Umgang mit der DDR ("die Aussage von (öffentlichen) Ausstellungen jedoch stets parteilich - und damit möglichst einseitig und damit undialektisch - zu sein hatte", "tat aber meistens so, als seien sie in der DDR gar nicht vorhanden"- viele Juden waren in führenden Positionen, ich erinnere nur an den erwähnten Klaus Gysi)
    und mit denjenigen, die diese Ausstellung auch kritisch sehen ("die sich weigerten, zu "so etwas" mit hinzugehen, denn es war ihnen schon klar, dass hier wieder einmal ihr "verlorenes Land" in die Pfanne gehauen wird.", "Und die Wogen der Entrüstung brandeten hoch - allein wegen des Titels." - Es gibt auch Kritik wegen des Inhalts.).
    Wie heißt es so schön:
    "Man muss vielleicht nicht alles von allen Seiten zur Kenntnis nehmen. Aber völlige Beschränkung auf eine Seite schafft einseitige Beschränktheit."
    Was die israelische Flagge betrifft:
    Ich habe noch in keinem katholischen Gebiet vor einem Restaurant die Flagge des Vatikanstaates gesehen. Und vor chinesischen Restaurants stehen auch keine chinesischen Flaggen. Ein Symbol für das Judentum sind eher der siebenarmige Leuchter und eine Tafel mit den 10 Geboten.
    So wurde leider auch mit der Eröffnungsveranstaltung in Coswig, wenn auch unabsichtlich, der Antisemitismus gefördert.
    Auch in diesem Zusammenhang kann ich nur den Abschlusswunsch unterstützen:
    "Abschliessend wäre nur noch zu wünschen, dass recht bald eine fortführende Ausstellung unter dem Titel "Antisemitismus (oder besser Fremdenfeindlichkeit?) in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis heute" gezeigt wird. ... Die Bundesrepublik aber wäre bestimmt noch einiger Mühen wert ..."
    Wer kümmert sich darum, der so etwas anregen kann, ohne ignoriert oder gleich zurückgewiesen zu werden?

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